crescendo

ihr sprecht von communities, new media journalism, rss und pageviews. ihr verwaltet euer leben mit delicious-flickr-blogrolling-furl-gmail und habt dabei keine ahnung, was usenet und irc sind. webseiten betrachtet ihr in eurem feedreader, kneipenbesuche ("gutbürgerlich") tituliert ihr als collaborative social event, weblogs sind für euch "so ein graswurzelding". ihr hetzt anwälte auf google, wenn ihr eure seiten dort nicht mehr im index findet. ihr habt den spaß an der sache verloren und die seele darin habt ihr sowieso nie bemerkt. früher, im fido-net, hättet ihr euch zu "network coördinators" wählen lassen. wenn ihr nicht so einen schlechten klamottengeschmack und mundgeruch hättet, würde man euch für schlipstragende finanzbeamte (mitte 40, single, abendgestaltung rtl) halten. ihr spielt seifenopern im netz nach, ihr hechelt trackbacks hinterher und theoretisiert anti-spam-verfahren für kommentare, und wenn ihr gespreeblickt wurdet, dann geht euch einer ab. ihr haltet das siezen im netz für understatement und pseudonymität für schick. und wenn apple furzt, kichert ihr.

ihr belächelt die diary-schreiber und laßt die befindlichkeitsliteraten noch ein wenig mitspielen, wißt aber selbst nicht so genau, warum ihr das tut. ihr wertet "humorlosigkeit" nicht als beleidigung und versteht ironie nur selten. bei diskussionen über privacy und datenschutz diskutiert ihr mit, weil es alle tun. ihr habt eure arschbacken seit jahren nicht mehr entkrampft, ihr verlinkt euch selbst, führt zweitblogs, und es stört euch auch nicht, wenn jemand "der blog" sagt. ihr seid die bwl-studenten an unserer uni, die ihrer caféteria den namen "blogosphäre" gegeben haben und nicht bemerken, daß im nebengebäude gerade die philosophen mit den mathematikern eine gangbang veranstalten. ihr denkt euch affiliate-programme aus und haltet python für eine programmiersprache. ihr habt "idole".

eure plattensammlung besteht aus compilation-cds und befindet sich in einem ikea-regal. ihr hattet noch nie gespräche mit menschen, die euer leben verändert haben (schließlich habt ihr alles schon geplant). ihr geht einmal im jahr zu klassentreffen und bildet euch ein, "es" geschafft zu haben. nachrichten schaut ihr auf pro7, während ihr euch buttons für eure webseite bastelt und das ganze popkultur nennt. ihr seid noch nie nachts um halb vier mit musik im kopf nach hause gelaufen und hattet dabei das bild einer person vor augen, in die ihr euch für ein paar stunden verknallt hattet. ihr hattet noch nie guten sex, ihr hattet auch noch nie guten streit, ihr hattet noch nie eine gute zeit. ihr geht bei regen nur mit schirm nach draußen, ihr sprecht keine fremden an, bei denen ihr spontan das gefühl habt, ihr würdet euch mit ihnen gut verstehen. ihr kennt noch nicht mal dieses gefühl. ihr könnt euch nicht für situationen oder orte begeistern, eure "hingabe" äußert sich in der einhaltung von deadlines. ihr könnt nicht küssen, aber ihr kennt immerhin webseiten darüber. ihr werdet diesen text verlinken mit sätzen wie "frank schreibt sich seinen frust von der seele" oder "lesetip!", vielleicht auch mit "da ist aber heute jemand schlecht gelaunt", und werdet es für ironie halten, wenn ihr es gerade jetzt trotzdem tut.

ihr seid blogger, ich nicht.