elfeinundsiebzig nach basel

im ice richtung süden sitzend - diesmal versehentlich nicht via wolfsburgbraunschweigkassel sondern durch leipzig und erfurt, aber so oder so via frankfurt, klar, es ist immer frankfurt - unterhält sich die breitbadisch polternde kleinreisegruppe schräg hinter mir über die frage, ab welcher uhrzeit weizenbier okay sei, immerhin ist es noch eine lange fahrt "vor uns", höre ich, dass dieses "uns" auch umsitzende/mitreisende/mich beinhaltet scheinen sie bei der erörterung der antwort nicht in betracht zu ziehen. es werden vier bier bestellt, wir sind gerade an lutherstadt wittenberg vorbei, kausaltheologische zusammenhänge drängen sich auf, aber sind mir wurscht, per dekret.

ich laufe schwankend zum bistro, einerseits vorauseilend solidarisch mit den kegelclub-bros also, andererseits weil ich die kurven der strecke noch nicht verinnerlicht habe und ich während des spaziergangs hindernissen ausweichen muss, u.a. einer dicken frau, die sich eine millisekunde vor mir aus dem sitz schält und offenbar das gleiche ziel wie ich hat. also das bordbistro jetzt, nicht die generelle kapitulation an der ~menschheit~ im allgemeinen. während die dicke frau ihre bestellung aufgibt, sehe ich -rechtzeitig!- das handgeschriebene schildchen "keine kartenzahlung", erinnere mich an restbargeld in meinem rucksack, mache also kehrt zurück zum platz und dort wieder kehrt zurück zum bordbistro. die dicke frau kommt mir entgegen mit geradezu klischeehaft viel kuchenstücken in einzelplastikfolien. im bordbistro einen riesling bitte, trinkgeld aus notwehr bzw. münzhass und ~obviously~ aus ehrlichherzigem bahnmitarbeitermitleid, kategorisch. zurück zum platz, mein schrittzähltracker versteht die welt nicht mehr.

acht minuten vor leipzig, mein unerwartet okayer wein wirkt schon, die jungs hinter mir bekommen ihr(e?) ~weizen~ (kartenzahlung beim platzservice funktioniert problemlos, es ist eben immer ein anhaltendes yin UND yang), ein großes hallo, ein lautes prost, ein immerwiederrechtfertigendes "wir haben ja noch 5 stunden strecke vor uns!", gerade so als ob sie selbst fahren müssten und nicht einfach nur sitzen und warten. die dicke frau knistert ihr drittes kuchenstück frei und ich hole mir noch einen wein, ich hab’ ja noch 5 stunden strecke vor mir, - ja, über leipzig und erfurt, aber halt auch via frankfurt - gerade so, als müsste ich dort aussteigen.

"welt & notwehr", so wird mein erstes album heißen.

friday i’m in luv

ständig soll ich mir etwas SICHERN anstatt zu kaufen, waren werden nicht mehr abgestottert sondern FINANZIERT, man fährt nicht mehr in urlaub sondern hat REISEERLEBNISSE, konkurrenten heißen nicht mehr mitbewerber sondern MARKTBEGLEITER, - and it goes on. wobei all jene formulierungen ja auch nur sprachliches abbild dieser gewollten ekstase sind, dieser vermeintlich gewünschten krassheit überall im hirn neuerdings, nicht einfach nur lauter und größer ("SALE!"), sondern gleichzeitig auch noch INDIVIDUELLER, jetzt dein ticket sichern!, mit dem shopify-plugin für fake-"3 kunden sehen sich gerade den gleichen artikel an!"-popups, die ganze welt ist booking dot com, alles ist markt, auch die ganzen ichs und ihrs, vor allem die. lautheit mit glitzer, aber glitzer von alibaba, im zehnerpack günstiger, aber obacht, nicht den zoll vergessen. und gleichzeitig bin ich zu faul für einen ordentlich ausformulierten kulturpessimismus (oha, rekursion?), zu müde, zu erschöpft, win/win statt yin/yang, ihr kennt das. ein andermal. klick’ jetzt hier, wenn du informiert werden möchtest, sobald lachi neue erkenntnisse hat. nein: klick’ jetzt hier, wenn du ALS ERSTE:R informiert werden möchtest, sobald lachi neue erkenntnisse hat. naja.

aber glaube

was man in der ersten nacht in einer neuen wohnung träumt, soll in erfüllung gehen, behauptet eine aLtE wEiSheIt. in meiner neuen wohnung bläst gerade noch twentyfourseven der den estrich trocknende industrieheizlüfter im nebenraum, während sich in meinem körper ein relativ origineller mix aus wick medinait, azithromycin und (ein klein wenig) scotch austobt. bonus tracks sind team erschöpfung & genervtheit sowie ein bisher dreiwöchiger dauerhusten -- jener "alten weisheit" möchte ich also nicht nur aus den komplett naheliegenden gründen widersprechen, sondern auch weil ich meine zukunftsaussichten zwar gern nicht langweilig hätte, aber vielleicht auf lebenszeit auch nicht ganz ~so~ unlangweilig wie ich es morgen in meinem traumtagebüchlein notieren werden muss.

in mitte war mein dhl-guy ein euphorisches effizienzmonster, speedy paketbote gonzales, ein volltreffer gewissermaßen, dem ich auch mal off label bescheid sagen konnte, wenn ich einen zustellsonderwunsch hatte. falls das erste paket in einer neuen wohnung also auch etwas über die zukunft aussagt, riddle me this: "hui, hallo!" - "na ick würd aber mal n namen uffm klingelschild erwarten hier, wa?" - "hamse recht, wohne aber auch erst seit ein paar stunden hier, und .." - "na hat ja damit nüscht zu tun, schön’ tach." (hab’ mich noch nicht ganz entschieden, aber ich glaube, ich mag’s. klingelschild wurde natürlich 2 minuten später benamt, ehrensache.)

am irritierendsten ist -immer-, dass hier alles anders klingt. räume, zimmer, orte generell, gegenden, als hätte mein psychogeografisches sonar leichte gleichgewichtsstörungen (tschuldigung, kurz in der metapher verheddert). das liegt, danke captain obvious, neben den drogen und dem heizlüfter hier natürlich an dingen wie noch fehlenden teppichen und generell neuer geometrie überall - aber selbst auf meine mittelalten tage hätte ich nicht damit gerechnet, dass gewöhnung so ein biestiger hund sein kann, also dass mich das alles ~trotzdem~ erstaunt: als hätte ich nicht damit gerechnet, nicht damit zu rechnen.

vom balkon aus kann ich einen friedhof, den fernsehturm, ein finanzamt, eine ubahn und eine mehrspurige straße sehen. in einer der beiden ziemlich räudigen supermarktfilialen in meinem neuen sog. kiez hab’ ich mir vorhin brot & salz besorgt, - wenn schon themenabend aberglaube, dann aber auch all in.

(keine sorge, das mit dem traumtagebuch war ein scherz.)